Ein Einblick in den vielversprechendsten Trend der Kreislaufwirtschaft: Wenn die Stadt zur Rohstoffmine wird.
Die Kreislaufwirtschaft soll der Ressourcenknappheit entgegenwirken. Schauen wir genau hin, wird deutlich: So knapp sind die Ressourcen nicht. Sie sind vielmehr schon verbaut oder lagern seit Jahren auf unseren Deponien. Mit Urban Mining wird versucht, diese wertvollen Materialien aufzuspüren und zu recyceln. Wie genau das geht und was die Vorteile sind, erklären wir im Folgenden.
Rohstoffe sind ein Importschlager. Aktuell importieren wir etwa 600 Millionen Tonnen Materialien pro Jahr, um unseren Bedarf für Bauwesen und Industrie sowie Lebensmittel und andere Konsumgüter abzudecken. Und das, obwohl unsere Städte riesige Materiallager sind. Materialausweise für Neubauten sind heutzutage zwar vorgesehen, werden oft aber vernachlässigt – so bleibt unklar, welche Materialien wo und in welcher Menge verbaut wurden. Berechnungen aus Daten wie Gebäudevolumina, Baujahr und Co. geben jedoch einen realistischen Schätzwert und verraten, wie viele Rohstoffe in etwa in einer Stadt lagern. Beim Urban Mining geht es darum, von diesen Gebrauch zu machen, um der Ressourcenknappheit entgegenzuwirken.
Der Begriff nimmt Bezug auf den Bergbau (Mining) und sieht die Stadt (das Urbane) als Sekundärrohstoffquelle. Ein Synonym dazu ist die sogenannte Stadtschürfung, da es sich beim Urban Mining um eine Methode handelt, die einen ähnlichen Zweck verfolgt wie die Schürf im Bergbau – das Hervorbringen von Mineralien aus der Tiefe. Die Wiederverwertung oder vielmehr Zurückgewinnung existierender Rohstoffe, etwa aus alten Gebäuden oder Elektrogeräten, ist dabei mehr als Abfallwirtschaft. Denn streng genommen geht es nicht nur um das, was bereits entsorgt wurde, sondern auch um jene Güter, die ungenutzt oder bald nicht mehr genutzt sind. Intakt oder beschädigt, gebraucht oder neu. Sie sind kein Abfall und haben als Sekundärrohstoffe Potenzial, an anderer Stelle erneut zum Einsatz zu kommen. Damit leistet Urban Mining seinen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft.
Stellen wir unsere Bio- und Geosphäre (natürliche Umgebung) der Anthroposphäre (menschengemachte Umgebung) gegenüber, wird ein Ungleichgewicht deutlich: Wir bedienen uns an natürlichen Rohstoffen, die immer knapper werden. Noch dazu ist die Rohstoffgewinnung in vielerlei Hinsicht ein problematischer Prozess – sie schürt Kriege, schafft soziale Ungleichheit, gefährdet unsere Gesundheit und trägt zu Wasserknappheit und dem Verlust der biologischen Vielfalt von Pflanzen und Tieren bei. Aus diesen Gründen rückt das Thema der Kreislaufwirtschaft auch politisch immer mehr in den Fokus. Wie schaffen wir es, das, was wir bereits haben, aufzubereiten und zum Wohle aller so oft wie möglich wiederzuverwenden?
Gold: In den letzten Jahren haben sich die Goldgehalte in abgebauten Erzen massiv verringert. Elektroaltgeräte verfügen im Vergleich über fast hundertmal so hohe Werte. Der deutlich geringere Aufwand im Vergleich zum klassischen Bergbau macht Urban Mining nach Gold deshalb äußerst effizient.
Aluminium: In einer Tonne Abfall findet sich Aluminium im Wert von mehr als 900 Euro. Und obwohl die Aufbereitung des Basismetalls komplexer Natur ist und Aluminium als Sekundärmetall eine minderwertige Qualität hat, kommt das Recycling-Material heutzutage immer mehr zum Einsatz. In der Industrie sorgt es für Energieeinsparungen von bis zu 95 Prozent.
Kupfer: Kupfer ist neben Elektrogeräten auch in Dächern und Fassaden sowie in der Verkabelung von Gebäuden verbaut. Es gilt als zirkuläres Material, das die allgemeine Recycling-Quote besonders positiv beeinflusst. Schon jetzt deckt Recycling-Kupfer etwa 50 Prozent des gesamten europäischen Kupferbedarfs.
Woraus berechnet sich der ökologische Fußabdruck jeder einzelnen Person? Wir klären auf und geben praktische Online-Tools zur Berechnung an die Hand.
Zum ökologischen Fußabdruck
Urban Mining hört bei der Rückgewinnung von Metallen und Einzelmaterialien jedoch nicht auf. Auch ganze Wände, Fenster, Türen und Treppen können aus Gebäuden entnommen, aufbereitet und in einem Neubau eingesetzt werden. Sogar Vorhänge und technische Textilien wie Mesh sind wertvolle Güter. Nach dem Abriss verwerten einzelne Recycling-Unternehmen zudem Bauschutt. Diesen verarbeiten sie etwa zu Pflastersteinen und Ziegeln.
Beim Urban Mining arbeiten Städte, Landesumweltämter und Recycling-Unternehmen mit einem ähnlichen Plan, wie ihn der klassische Bergbau verfolgt. Zunächst geht es dabei darum, Rohstoffvorkommen aufzuspüren und zu untersuchen: Prospektion und Erkundung. Wo befinden sich wertvolle Güter? In welcher Quantität und welcher Form kommen sie dort vor? Anschließend folgt die Erschließung der Materialien und zuletzt die Aufbereitung. Dieser Prozess sieht von Material zu Material unterschiedlich aus.
Eine neue Technik zur Aufbereitung von mineralischem Bauschutt arbeitet etwa mit einer Lampe, die die unterschiedlichen Bestandteile des Schutts erkennt und per Druckluft in verschiedene Behältnisse befördert – je nach Kategorie. Aus einem Teil des alten Bauschutts entsteht dann Porenbeton. Dieser dämmt Wärme und eignet sich zur Herstellung von Ziegeln oder Fassadenplatten.
Expert:innen sind davon überzeugt, dass es sich bei Urban Mining um eine wegweisende Innovation für Umwelt und Industrie handelt. Es sei eine verantwortungsvollere Art zu recyceln und zukünftig ein essenzieller Bestandteil nachhaltiger Stadtentwicklung. Dieses Urteil fußt auf zahlreichen Vorteilen, die Urban Mining mit sich bringt.
Wo wir bisher unbedacht Eingriffe in den natürlichen Kreislauf vorgenommen haben, bedienen wir uns beim Urban Mining an der Anthroposphäre. Das ermöglicht der Natur ihre Regeneration.
Zahlreiche Rohstoffe wie Gold, Kupfer und Glas können immer und immer wieder aufbereitet und wiederverwendet werden. Teilweise erleiden sie keinen Qualitätsverlust und bleiben auch recycelt robust. Die Herausforderung: Nicht an alle Sekundärrohstoffe kommen wir wirtschaftlich heran.
Langfristig reduziert Urban Mining die Menge an Abfall auf unseren Deponien und den (oftmals illegalen) Export von Müll im Allgemeinen.
Die Güter, die wir in unseren Städten verbauen, wurden mit hohem Aufwand und CO₂-Ausstoß verarbeitet. Indem wir sie immer wieder verwenden, holen wir das Meiste aus ihnen heraus. In diesem Zusammenhang punktet Urban Mining auch mit der deutlich höheren Materialkonzentration: Weniger Aufwand bringt mehr Material.
Das Material befindet sich oft schon am Ort der Wiederverwendung – das bedeutet kurze Transportwege und macht Urban Mining umweltfreundlicher als den klassischen Bergbau oder anderweite Materialbeschaffung.
Ein erhöhtes Bewusstsein für die Möglichkeiten im Urban Mining schafft gleichzeitig ein besseres Verständnis für den Material- und somit den Gebäudewert zahlreicher Objekte in unseren Städten.
In Düsseldorf steigt das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsfragen immer weiter an. Eine Befragung ergab im Jahr 2019, dass 64 % der Düsseldorfer sich explizit wünschen, dass die Stadt mehr Geld in den Umweltschutz investiert. Innovationsansätze wie Urban Mining sind hier gefragter denn je.
Im Herzen des Medienhafens entsteht in diesem Zusammenhang The Cradle – ein Bürogebäude, das nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip integral geplant und gebaut wird: 97,7 % der Materialien, die zum Einsatz kommen, können in den Materialkreislauf zurückgeführt werden. Beim Abriss entsteht nahezu kein Abfall. Das Projekt fußt auf einer Grundstücksausschreibung der Stadt Düsseldorf, die den Nachhaltigkeitsfaktor stark in den Fokus rückte.
Bei allen weiteren Bauherrentätigkeiten sieht die Landeshauptstadt außerdem die Anwendung der BIM-Methode vor. „Building Information Modeling“ meint die digitale Repräsentanz eines Bauwerks, welche Bauplanung, Ausführung, Bewirtschaftung und den Rückbau des Objekts erleichtert. Eine eigens zu diesem Zweck eingerichtete BIM-Geschäftsstelle kümmert sich um alle Belange zum Thema.
Düsseldorf möchte nachhaltiger werden. Welchen Platz die Landeshauptstadt in der jüngsten Nachhaltigkeitsstudie belegt und in welchen Bereichen Düsseldorf schon grüner Vorreiter ist, klärt unser Beitrag.
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