Was tun, wenn am Rhein die Erde bebt?
Am 3. September 2017 um 03:30 Uhr koordinierter Weltzeit (UTC) wurde in Nordkorea eine Atombombe gezündet. Elf Minuten und 40 Sekunden später traf die Primärwelle in Bensberg ein. Die Magnitude betrug 6,3. Erdbeben dieser Größenordnung sind weltweit messbar. Allerdings nur mit sehr feinen Geräten. Solchen, die in der Erdbebenstation Bensberg bei Köln stehen. Obwohl es hier doch immer ganz ruhig ist. Oder?
„Weit gefehlt“, sagt Prof. Dr. Klaus-Günter Hinzen, der die Erdbebenstation Bensberg leitet. Der Seismologe lenkt den Blick auf die Messergebnisse der ersten beiden Monate in 2018: Seit Anfang dieses Jahres wurden bereits mehr als 50 kleinere Lokalbeben registriert. Das letzte aufrüttelnde Beben ereignete sich am 08.11.2017 bei Hürth. Magnitude: 2,7. Tiefe: 17 Kilometer. Auch der Düsseldorfer Osten wurde vor drei Jahren unsanft von unten geweckt: Am 14.01.2015 gegen 5:00 Uhr früh ließen zwei Beben der Stärken 1,6 und 1,9 die Fensterscheiben erklirren und so manchen Anwohner erzittern. „Das ist ungewöhnlich“, sagt Prof. Hinzen, „normalerweise ist es auf der rechten Rheinseite ganz ruhig. Wir verzeichnen stärkere Aktivität im Westen der Niederrheinischen Bucht, bei Jülich, Düren und Aachen. Außerdem war das Düsseldorfer Beben sehr flach, nur zwei bis drei Kilometer tief.“ Auch das sei neu. Aber kein Grund zur Sorge. „Bei Mikrobeben mit Magnituden unter 2 sind keine Schäden zu erwarten.“
Größere Beben in unserer Region sind sehr selten, aber nicht unmöglich.
Prof. Dr. Klaus-Günter Hinzen, Leiter der Erdbebenstation Bensberg
Was soll man also tun, wenn Mutter Erde am Vater Rhein Magengrummeln bekommt? Am besten: Ruhig bleiben! „Das Schlimmste, was Sie nach einem Erdbeben tun können, ist die Polizei, die Feuerwehr oder die Erdbebenstation anzurufen“, sagt Hinzen. „Denn alle haben gerade dann sehr viel zu tun.“ Es sei schon passiert, dass nach einem kleineren Beben ohne Schäden über eine Stunde der Notruf blockiert war. „Wenn Sie in dieser Stunde einen Herzinfarkt haben, haben Sie Pech gehabt!“ Besser ist es, sich im Radio, Fernsehen oder Internet – zum Beispiel auf der Homepage der Erdbebenstation Bensberg – über den aktuellen Stand der Dinge zu informieren, statt lebensrettende Leitungen zu blockieren.
„Das kommt auf die Stärke und den Ort des Bebens an“, sagt Hinzen. Aus dem Haus zu rennen sei zwar der erste Impuls, aber in unseren Breiten eher gefährlich. „Wir haben hier ja keine Beben, die alles einstürzen lassen. Bei uns kommt die Gefahr eher von oben als von unten. Bei einem größeren Beben können sich Dachpfannen lösen oder Schornsteine abbrechen wie 1992 beim Roermond-Beben mit einer Magnitude von 5,9. Da ist es besser, sich einen sicheren Ort im Haus zu suchen, zum Beispiel unter einem massiven Tisch oder unterm Türsturz, damit einem die Lampen nicht auf den Kopf fallen. Wer schon draußen ist, sollte sich möglichst weit von umstehenden Gebäuden entfernt halten.“
Die Förderung fossiler Energieträger wie Öl und Gas hat Auswirkungen auf den Untergrund und kann Erdbeben begünstigen. Tun Sie sich und Ihrer Umwelt etwas Gutes – indem Sie Ökostrom fördern!
Hier klärt Prof. Hinzen ein landläufiges Missverständnis auf: „Erdbeben sind an sich völlig ungefährliche Naturereignisse. Niemand auf der Welt kommt durch ein Erdbeben zu Tode, die Menschen sterben fast ausschließlich durch einstürzende Gebäude. Die meisten Erdbebenkatastrophen sind daher eigentlich Baukatastrophen.“ Deshalb ist auch in Deutschland erdbebensicheres Bauen Pflicht. Die Baunorm DIN 4149 basiert auf mittelgroßen Ereignissen, die statistisch ca. alle 500 Jahre zu erwarten sind. Großereignisse, die etwa alle 5.000 Jahre auftreten, werden allerdings nicht erfasst. Unsere Baunorm schützt uns also nur vor Jahrhundertbeben, aber nicht vor Jahrtausendbeben!
Was uns zu der drängenden Frage führt: Wann geschieht das nächste Großbeben in unseren Breiten? Prof. Hinzen antwortet bestimmt und unbestimmt zugleich: „Es wird wieder passieren – so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Aber: „Einzelne Erdbeben sind bis heute mit wissenschaftlichen Methoden nicht vorhersehbar.“ Deshalb sei die weltweite Datenerfassung und Zusammenarbeit von Erdbebenstationen umso wichtiger. Nur wer alle Erschütterungen registriert, erhält ein genaues Bild von der Tektonik einer Landschaft. Danach lassen sich Modelle erstellen, die die Häufigkeit und Stärke künftiger Beben mit statistischer Wahrscheinlichkeit berechnen. „Auch die kleinsten Erschütterungen liefern uns wichtige Informationen über die Aktivitäten im Erdreich“, erklärt Prof. Hinzen.
„Dazu gibt es im Rheinland keine belegbaren Zusammenhänge“, sagt Hinzen. Der beobachtete Zeitraum sei zu kurz, um verbindliche Aussagen zu treffen. „Generell gibt es aber Wechselwirkungen zwischen Tektonik und Klima, man denke nur an die frostigen Folgen von Gebirgsbildungen. Auch im Hinblick auf Erosionen und Hangrutschungen in gebirgigen Regionen könnte der Klimawandel in Zukunft bedenkliche Auswirkungen haben“, mahnt Hinzen.
Es wird wieder passieren. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Prof. Dr. Klaus-Günter Hinzen
„Um die Zukunft zu prognostizieren, muss man möglichst weit in die Vergangenheit zurückblicken“, sagt Hinzen. Deshalb widmet sich die Erdbebenstation Bensberg neben aktuellen Messungen der Archäo-, Paläo- und Makroseismologie. Die Archäoseismologie untersucht Erdbebenspuren in Ausgrabungsstätten, die Paläoseismologie analysiert Verwerfungen des Erdreichs, die Makroseismologie studiert Aufzeichnungen von Erdbebenbetroffenen früherer Zeiten. Hier wird der Seismologe schon mal zum Graphologen. Hinzen und seine Kollegen vom Königlichen Observatorium in Brüssel machten jüngst eine spektakuläre Entdeckung im Landesarchiv NRW: In akkurater Bruchschrift und mit preußischer Gründlichkeit wurden Erdbebenerlebnisse zwischen 1818 und 1898 in zahllosen Fragebögen festgehalten. Die Experten werteten 1.700 Seiten davon aus. So kamen Beben ans Licht, die im historischen Gedächtnis der Region bislang verschüttet waren. Auch heute tragen makroseismische Erhebungen neben instrumentellen Messungen erheblich dazu bei, dem tektonischen Charakter unserer Region auf den Grund zu gehen.
Das Bild wird Tag für Tag klarer – und weist die Rheinlande als eines der erdbebenintensivsten Gebiete Deutschlands aus. Grund zur Wachsamkeit: allemal. Grund zur Panik: keinesfalls!
Rufen Sie nur im Notfall die Polizei oder Feuerwehr, um lebensrettende Leitungen nicht zu blockieren.
Informieren Sie sich in öffentlichen Kanälen wie Radio, Fernsehen oder Internet über den aktuellen Stand.
Im Haus:
Suchen Sie unter stabilen Möbelstücken wie Tischen oder im Türrahmen Schutz.
Halten Sie Abstand zu Fenstern, Glastüren oder instabilen Regalen.
Bleiben Sie im Haus, laufen Sie nicht ins Freie.
Benutzen Sie keine Aufzüge.
Im Freien:
Halten Sie Abstand von Gebäuden mit Ziegeldächern sowie Strom- und Laternenmasten, um sich vor herabfallenden Gegenständen zu schützen.
In engen Straßen: Suchen Sie Schutz in einem Türeingang.
Im Auto:
Bleiben Sie im Auto, halten Sie am Straßenrand und schalten Sie das Radio ein.
Halten Sie Abstand von Gebäuden, Leitungs- oder Laternenmasten.