Wenn Leidenschaft zum Beruf wird
Kunst ist seine Leidenschaft, Graffiti sein Medium. Die bunten Werke von Benjamin „Beni“ Veltum erreichen die Menschen im Ruhrgebiet und darüber hinaus. Workshops in Essen, Graffiti-Aufträge in Düsseldorf oder Fassadengestaltung in Köln. Wir haben ihm bei der Arbeit über die Schulter geschaut.
Es ist kalt, windig und regnerisch. An einigen Stellen läuft Wasser die Mauern herunter. Dazu ein tosender Lärm der Autos, der für einen permanenten Geräuschpegel in der Unterführung sorgt. Immer wieder donnern S-Bahnen mit lautem Rattern über die Brücke. Kontinuierlich ist auch ein seltsames Zischen zu hören. Doch es ist keine Schlange, die sich in den Großstadtdschungel verirrt hat, sondern das Zischen einer Sprühdose. Hier ist ein bekannter Graffiti-Künstler am Werk, um uns sein Können zu präsentieren. Nicht gerade ein schöner Ort, um seiner Arbeit nachzugehen. Jedenfalls verirren sich Fußgänger oder Fahrradfahrer bei diesem kühlen Regenwetter nur vereinzelt hierher. Doch wenn sie vorbeikommen, verharren sie oft für einen kurzen Moment. Denn hier, in der Bahnunterführung an der Vennhauser Allee, zaubert Graffiti-Künstler Benjamin „Beni“ Veltum ein buntes Motiv an die Wand. Dabei kann er sich richtig austoben, denn seit 2015 gibt es in Eller Düsseldorfs erste offizielle „Hall Of Fame“ – so heißen die Flächen, die von der Stadt für Graffiti-Kunst freigegeben sind. Also Platz für echte Street-Art in Düsseldorf.
„Das ist eine ganz legale Fläche. Man kann hier sprayen und malen, soviel man will.“ Beni Veltum muss es wissen, hat er sich doch selbst schon mehrfach in unserer Landeshauptstadt verewigt. Zum Beispiel an der Karlsruher Straße. Dort gibt es an einer rund 60 Meter langen Wand die Düsseldorfer Skyline von ihm zu bestaunen. Weitere bekannte Graffiti-Kunst aus seiner Hand: der große Löwe, der eindrucksvoll an der S-Bahnhaltestelle Düsseldorf-Zoo brüllt. Allesamt Auftragsarbeiten, die dem Ruf von Graffiti gutgetan haben. Denn nach wie vor halten zahlreiche Menschen die bunten Schriften und Bilder für eine Verschandelung der Stadt. Tatsächlich hat sich die Kunst aus der Sprühdose immer weiter durchgesetzt. Auch in Düsseldorf kann man in vielen Ecken entdecken, wie phantasievoll und schön gestaltet Graffitis sein können – zum Beispiel in der Fichtenstraße in Flingern-Süd. Ebenso trugen die Düsseldorfer Stadtwerke schon dazu bei, das Stadtbild der Landeshauptstadt zu verschönern. So engagierten sie bekannte Graffiti-Künstler wie Peter Norf oder die MaJo Brothers, um überall in Düsseldorf und Umgebung Trafohäuschen farbenfroh zu gestalten. Wohin man auch schaut: Es lohnt sich, die Augen für Street-Art in Düsseldorf offen zu halten und sich überraschen zu lassen. Bei den Werken von Beni Veltum geschieht das ganz leicht. Man sieht einfach, wie viel Erfahrung er mitbringt und wie alles bis ins kleinste Detail stimmt. Kein Wunder, denn der dreißigjährige Graffiti-Künstler ist schon seit 18 Jahren dabei.
„Wir verschönern das Stadtbild.“ Unter diesem Motto startete 2009 die Aktion „Netzgraffiti“. Dabei werden Trafostationen durch Graffiti bunter und attraktiver gestaltet. Anwohner und Medien sind begeistert.
Seine Leidenschaft für Kunst, Design und Graffiti Art wurde bei ihm schon in frühen Jahren geweckt. „Ich bin damals mit meinen Eltern viel in Deutschland in den Urlaub gefahren und das Einzige, was du da draußen auf der Autobahn siehst, sind die bunten Brücken voller Graffitis.“ Das weckte die Neugier des Jungen. Er wollte mehr darüber erfahren und auch selbst mal so etwas ausprobieren. So wurde Graffiti für ihn das Medium, um sich auszudrücken. Was ihm schnell auch ungeahnte Vorteile brachte: „Ich konnte dann im Teenageralter immer die Namen der Mädchen in Graffiti-Schrift schreiben. Das war dann immer gute Werbung für mich“, grinst Beni. Doch fand seine Faszination fast auch ein jähes Ende. Mit 13 wurde er beim illegalen Sprayen an der Autobahn erwischt. Seine Eltern mussten ihn von der Polizei abholen. Natürlich waren sie nicht gerade begeistert über die künstlerischen Anwandlungen ihres Sohnes. Es gab nach diesem Vorfall nicht nur Ärger, sondern auch keine Weihnachtsgeschenke. Allerdings erkannten seine Eltern auch Benis Begeisterung und halfen ihm dabei, seine Graffiti-Leidenschaft in andere – und vor allem – legale Bahnen zu lenken. „Dann durfte ich mal die Wand in der Garage bemalen oder die Wand bei der Oma – kurz vorm Tapezieren“, erinnert er sich. Außerdem fuhren ihn seine Eltern zu legalen Graffiti-Wänden, wo er sich in Ruhe ausprobieren konnte. Unterstützung bekam er auch von anderer Seite. Sein Deutschlehrer riet ihm, sein Fachabi im Bereich Technik und Gestaltung zu machen, weil er so gut male. Gesagt getan: Auf seine schulische Laufbahn folgte dann eine Lehre zum staatlich geprüften Gestaltungstechnischen Assistenten, danach ein paar Jahre Studium mit dem Schwerpunkt Grafikdesign. Doch schon während seines Studiums begann Benjamin Veltum, freiberuflich als Graffiti-Künstler zu arbeiten. Für seine professionelle Fassaden- und Innenraumgestaltung fand er viele Abnehmer. Die mediale Beachtung, die er dabei für seine Arbeiten bekam, brachte ihm gleichzeitig neue Jobs: Aufträge aus dem Ruhrgebiet und Umkreis – wie Gelsenkirchen, Gladbeck und eben auch Düsseldorf. Anfang 2010 gründete er das Graffiti-Büro, seine eigene Firma. Sie ist noch heute Zentrum seines Schaffens.
Viele Hausbesitzer machen sich Gedanken darüber, wie sie das Graffiti wieder von ihren Wänden kriegen. Ich hingegen mach’ mir Gedanken darüber, wie meine Graffitis optimal haften.
Beni Veltum • Graffiti-Künstler
Wenn man auch Graffiti-Kunst von Beni Veltum erschaffen lassen möchte, ist es eigentlich ganz einfach. Man schickt eine E-Mail ans Graffiti-Büro mit Fotos von der Wand, den Maßen und einer ungefähren Motivvorstellung. Meist folgt nach einem Gespräch dann die Materialbesorgung und dann kann es eigentlich auch schon losgehen. Eigentlich, denn der Beruf des professionellen Fassaden- und Innenraumgestalters – so die offizielle Bezeichnung des Graffiti-Künstlers – bringt immer auch einige Schwierigkeiten mit sich. Zunächst einmal die Wetterbedingungen: Bei Regen ist man arbeitslos. Ein großes Hemmnis, gerade hierzulande. Hinzu kommt: Bei kälteren Temperaturen trocknet die Sprühfarbe nicht gut und verläuft schnell – wie wir in der Unterführung während des Filmdrehs selbst beobachten konnten. Auch die Leinwand – also die Mauer oder die Hauswand – muss vor dem Beginn der Arbeiten sehr genau betrachtet werden. Wie ist der Untergrund, auf dem das Motiv aufgebracht wird? Welche Farbe und welche Technik eignen sich? Veltum fasst die Problematik so zusammen: „Viele Hausbesitzer machen sich Gedanken darüber, wie sie das Graffiti wieder von ihren Wänden kriegen. Ich hingegen mach’ mir Gedanken darüber, wie meine Graffiti optimal haften.“ Daher gehört eine intensive Planung sowie eine ausführliche Vor- und Nachbereitung mit seinen Kunden zu jedem Auftrag dazu. Das bewahrt ihn aber auch nicht vor den kleinen Tücken der Arbeit. „Irgendwie findet die Farbe immer den Weg an die Klamotten. Je weniger du die versauen darfst, desto schneller passiert es“, schmunzelt Veltum.
Sie möchten Kinderzimmerwand, Hobbykeller oder Hauswand attraktiv gestaltet bekommen? Dann wenden Sie sich schriftlich direkt ans Graffiti-Büro und holen Sie sich die Graffiti-Kunst von Beni Veltum nach Hause.
Aber sein Beruf macht Beni Veltum eben auch immer wieder Spaß und er genießt es, sein eigener Herr zu sein. Dabei unterscheidet er zwischen Auftragsarbeiten und dem Privatvergnügen. Bei den Auftragsarbeiten gibt es die einen Kunden, die bereits Motive von ihm gesehen haben und jetzt das Gleiche oder so etwas Ähnliches haben wollen. Und es gibt die Kunden, die ihm besonderes Vertrauen entgegenbringen und einfach sagen: „Mach mal was Cooles.“ Diese Aufträge liebt er besonders, denn sie bringen mehr künstlerische Freiheit mit sich. Dabei bietet er seinen Kunden ganz unterschiedliche Arbeiten an. Er sprayt seine Graffitis auf Außenfassaden und in Innenräumen – und ist gemeinsam mit seinem Azubi Nico Sach spezialisiert auf große Flächen, das heißt alles ab drei Quadratmetern. Neben seinen Graffiti-Tätigkeiten bietet Veltum dazu auch Design-Workshops und Teambuilding-Seminare mit Firmen an. Wie er Menschen durch seine Liebe zu Graffiti und Design begeistern kann, hat er längst auch schon im Ausland bewiesen. In Marokko besprühte er im Auftrag der Deutschen Botschaft nicht nur die Fassade eines Gesundheitszentrums, sondern gab auch Kindern einer Sprachschule einen kleinen Graffiti-Workshop. Kein alltäglicher Job, doch Beni Veltum kommt eben rum mit seinem Können. So hat es ihn unter anderem auch schon beruflich nach Holland und Luxemburg verschlagen.
Neben seiner beruflichen Tätigkeit schlägt sein Herz auch für seine zweite Persönlichkeit, wie er selbst sagt: seinen inneren Künstler. Im Atelier seines Graffiti-Büros bemalt Beni Veltum mit Leidenschaft Leinwände – vor allem mit Acrylfarben. Für ihn ist es wichtig, sich kontinuierlich weiterzuentwickeln und neue Sachen auszuprobieren, neue Techniken anzuwenden. So kann er auch immer wieder zeigen, wie groß das Spektrum ist, das er beherrscht. Bei vielen seiner Auftragsarbeiten malt Beni realistisch und verrichtet millimetergenaue Arbeit. Bei seinen privaten, freien Werken mag er vor allem farbige Bilder, bei denen die Konturen verwischen und die voller Energie sind. Als Künstler will er seinen eigenen Weg gehen, sein eigenes Ding machen. „Bei Graffiti-Kunst ist es eben so, wie bei vielen anderen Künsten auch. Jeder macht, was er will und worauf er gerade so Lust hat. Graffiti ist so vielfältig wie die Phantasie ihrer Schöpfer.“
Dieser Schaffensprozess findet auch im Urlaub keine Pause – im Gegenteil. Auf Reisen scannt Veltum seine Umgebung ganz genau nach den bunten Schriften und Botschaften. Oft legt er dann auch selbst Hand an – ein echter Künstler kennt eben keine Pause. Erst im Januar war Beni Veltum beispielsweise noch für ein paar Tage in Miami. Neben dem sonnigen Wetter genoss er es, Sprühdosenshops zu erkunden, Leute zu mobilisieren und legale Wände mit seiner Kunst zu verwandeln. Noch heute schwärmt er von diesem USA-Abstecher: „Es macht einfach Spaß. Außerdem liebe ich Amerika. Da würde ich jobmäßig schon noch mal gerne hin.“ Eines steht für Beni Veltum fest: Graffiti gehört seiner Meinung nach immer auf die Straße, in die Freiheit. Wer die Augen geöffnet hält und nach Graffitis guckt, verändert oft auch seine Wahrnehmung. Dann verblüfft es viele, an welchen Orten Graffitis überall zu finden sind. Und von wem sie stammen. Veltum erklärt: „Das ist das Tolle an Graffitis. Wenn du dich umsiehst und ein bisschen auskennst, dann kannst du sagen: Der war hier, der war hier. Das ist immer ein bisschen wie Detektiv spielen.“ Tatsächlich kann sich niemand sicher sein, welche Zeit ein Graffiti überdauert. Sie werden manchmal eben auch einfach übermalt. Aber das macht eben den besonderen Reiz dieser Kunst aus – diese Vergänglichkeit.
Joachim Gerloff • 3. März 2021