Wie die Düsseldorfer Kids auf den Grand Départ zusprinten
Düsseldorf steckt mitten im Countdown zum Grand Départ – dem Start der Tour de France am 1. Juli. Und die „Kleinen“ mischen ordentlich mit: Mit einem Sieg bei einem der sechs Kinderradrennen des „Petit Départ“ sichern sich die Kids einen Startplatz beim Finale, das auf einem Teilstück der Originalstrecke der großen Tour de France stattfinden wird.
Wie bei jedem anständigen Sportevent soll auch hier die musikalische Untermalung nicht fehlen. Deshalb vorab: Wussten Sie, dass Queens „Bicycle race“ entstanden sein soll, als sich die Kultband 1978 eine Tour-de-France-Etappe bei Montreux anschaute? „… Bicycle bicycle bicycle / I want to ride my bicycle bicycle bicycle / … I want to ride my bike / I want to ride my bicycle / I want to ride it where I like …“. Musik: Läuft.
Du musst 'nen Gang runterschalten!
Engagiert coachender Vater eines Petit-Départ-Teilnehmers
„Du musst 'nen Gang runterschalten!“ Brüllend steht ein Papa an der Bande auf dem Sportplatz des SC West in Oberkassel und gibt seinem Kind enthusiastisch Tipps für den Sieg auf dem Rad. Diese wiederum scheint er durchs Smartphone zu bekommen – oder warum klemmt dabei sein Smartphone zwischen Ohr und Schulter? Erheiternde Szenen wie diese beim dritten Rennen des Petit Départ sind typisch für alle Kindersport-Wettbewerbe, wo sich die Eltern gerne mehr ins Zeug legen, als den Kindern lieb ist und guttut. Andererseits doch ein erfreuliches Zeichen dafür, dass sich der Radsport offenbar wieder zum Volkssport mausert. Oder etwa nicht?
Es gehört nicht zum Allgemeinwissen, deshalb sei es hier kurz eingeschoben: Düsseldorf hat nicht erst seit dem Grand Départ einen engen Bezug zum Fahrrad. Düsseldorf hat tatsächlich eine ansehnliche Radfahrtradition: Neben den Dutzenden von Radsportvereinen seit Anfang des 20. Jahrhunderts, über den florierenden Radhandel und die -produktion bis hin zu Persönlichkeiten wie Radprofi Sven Teutenberg verbindet so einiges die Rheinmetropole mit dem Bike. Aber wie es mit Traditionen leider manchmal so ist, ist auch diese – sagen wir mal – ein wenig in Vergessenheit geraten oder vielleicht einfach aus der Mode gekommen. Wohl nicht zuletzt deshalb kommt es dem Radfan und -sportler gerade recht, dass das größte und bekannteste Radrennen der Welt in unserer Landeshauptstadt seinen diesjährigen Auftakt hat. Jode Dach Tour de France! Re-Cycling auf Düsseldorferisch – sozusagen.
Wir haben während Rubens Schulzeit sehr viel Unterstützung durch die Stadt Düsseldorf erfahren.
Klaudia Zepuntke • Bürgermeisterin und Radprofi-Mutter
Der Grand Départ ist eine Gelegenheit, die sich der SG Radschläger e. V. und die Stadt zur Förderung des Nachwuchses und des Images in Sachen Fahrrad nicht entgehen lassen konnten. Immerhin muss der Radsport bei der Jugend mit neumodischen Sportarten wie Floorball, Parkour oder Bootcamp konkurrieren. Deshalb wurde schon im vergangenen Jahr beim Radsporttag der „Petit Départ“ in der Landeshauptstadt ins Leben gerufen. Der diesjährige Petit Départ allerdings wurde noch breiter aufgestellt. In dieser umfassenden Form hatte er somit Premiere: Alle acht- bis zwölfjährigen Kinder aus Düsseldorf und Umgebung waren eingeladen, an einem der sechs Rennen zwischen dem 25. März und 10. Juni teilzunehmen. Es winkten nicht nur eine Medaille und ein T-Shirt. Die Sieger dieser Stadtteilrennen bekommen nun auch die Möglichkeit, beim Grand Départ im Finale zu starten. Natürlich nicht mit den Profis, aber fast: Die Finalfahrt findet auf einem Teilstück der Originalstrecke statt, die die Profis kurze Zeit später eben auch bewältigen müssen. Dazu mussten sich die rund 75 Siegerkinder in einem der Petit-Départ-Rennen im Zeitfahrrennen, Sprinttest und Hindernisparcours qualifizieren. Von Hightech-Luftpumpen, über Bananen bis hin zu Würsten vom Vereinsgrill war alles erlaubt, um sich bei strahlendem Sonnenschein in Bestform zu bringen und „… das Ding nach Hause zu holen …“, wie von den Riegenführern in ihren knallroten Jacken häufig zu vernehmen war. Ohne diese engagierten Volunteers (früher wurden sie schlicht „Freiwillige“ genannt) ist heutzutage keine Sportveranstaltung denkbar, weshalb ihnen natürlich von hoher Warte besonderer Dank gebührte. Bürgermeisterin Klaudia Zepuntke ließ es sich auch nicht nehmen, die Siegerehrung beim Petit Départ in Oberkassel selbst vorzunehmen. Vielleicht auch, weil sie einen ganz engen persönlichen Bezug zum Radsport hat: Ihr Sohn ist nämlich Radprofi. „Wir haben während Rubens Schulzeit sehr viel Unterstützung durch die Stadt Düsseldorf erfahren.“ So hat er trotz des zeitintensiven Trainings und der Rennen sogar sein Abi geschafft. Chapeau, Düsseldorf!
Das Wichtigste ist uns, dass die Kinder Spaß nicht nur bei den Rennen, sondern generell am Radfahren haben beziehungsweise bekommen.
Sascha Grünewald • Vorsitzender SG Radschläger e. V.
Die Kinderrad-Rennserie Petit Départ hatte sich mehrere Ziele gesteckt: „Das Wichtigste ist uns, dass die Kinder Spaß nicht nur bei den Rennen, sondern generell am Radfahren haben beziehungsweise bekommen“, so Sascha Grünewald, Vorsitzender SG Radschläger. Er betont, dass diese Veranstaltungen zwar auch für eine Talentsichtung genutzt werden, „das steht aber nicht im Vordergrund.“ Darauf besann sich der Veranstalter wohl auch bei der neuen Finalplanung – die weicht nämlich vom ursprünglichen Plan auf sympathische Weise ab. Angeregt von Radprofi Sven Teutenberg will man das Kidsfinale nun nach dem französischen Vorbild angehen und aus dem ursprünglich geplanten Wettkampf eine gemeinsame Radtour mit olympischem Gedanken direkt vor der Auftaktetappe der Profis machen. Gewissermaßen als Vorgruppe der eigentlichen Stars. Und wie wichtig Vorgruppen für die Atmosphäre und somit für die Stars sind, weiß jeder Konzertbesucher. Welch einmalige Ehre für die Finalisten!
Ein weiterer wichtiger Wunsch der Petit-Départ-Veranstalter bestand ausdrücklich darin, wirklich allen Kindern die Chance auf den Radspaß zu geben. Deshalb wurde im Vorfeld darauf hingewiesen, dass bei allen Rennen wettbewerbsfähige Leihräder und Helme zur Verfügung stehen. Immerhin gut sechs Prozent der Kinder machten auch in einer finanzstarken Stadt wie Düsseldorf davon Gebrauch. Auch das Angebot an alle Petit-Départ-Teilnehmer(innen), ein Jahr kostenlos Mitglied in einem der Düsseldorfer Radsportvereine zu werden, kann als gutes Beispiel für die Integration aller Kinder, unabhängig von familiären Bedingungen, verstanden werden. Und wer weiß: Vielleicht macht diese Aktion ja sogar Schule, ganz nach dem Vorbild so gearteter Fußballprojekte, die das Ziel haben, die Kinder von der Straße auf den Fußballplatz oder in diesem Fall eben aufs Rad zu holen. Um ihnen eine sinnvolle und zielgerichtete Beschäftigung zu ermöglichen. Beim Petit Départ 2016 haben übrigens beachtliche zehn Prozent der Starter das Angebot einer kostenlosen Mitgliedschaft angenommen. Die Kosten dafür übernimmt die Stadt Düsseldorf.
Bei genauerer Betrachtung ist der Radspaß schon in jungen Jahren nicht nur ein Ziel der Kampagne, sondern eine unumgängliche Grundlage für alle weiteren Ziele, die sich Düsseldorf zum Thema Fahrrad mittel- und langfristig auf die Fahnen geschrieben hat. Die NRW-Hauptstadt möchte nämlich beispielsweise das Fahrrad zu einem ernsthaften Verkehrsmittel der Zukunft etablieren und baut dazu ihr Radhauptnetz deutlich aus. Erklärtes Ziel hierbei: ein stolzer Radverkehrsanteil von 25 Prozent. Derzeit sind es 14. Da kann prominente Unterstützung beim Rad-Revival, wie eben durch das bekannteste Radrennen der Welt, nicht schaden. Und das am besten bei denen, die sich noch besonders gut formen lassen: beim Nachwuchs.
Nachdem nun alle Rennen der Petit-Départ-Rennserie absolviert sind und alle Kinder für die Finalfahrt feststehen, sei an dieser Stelle auch schon mal verraten: Da alle diese Kinder Sieger sind und ihnen auch dementsprechende Ehre gebührt, dürfen sich nach dem Finale alle zusammen auf der Original-Tourbühne präsentieren. Richtig gelesen: auf genau der Bühne, wo die hübschen Hostessen den gelben, grünen, pinken und gepunkteten Trikots die Blumensträuße überreichen. Manch ein Papa wird vor Stolz platzen, aber auch ein wenig neidisch sein. Von diesem Erlebnis werden sich die Teilnehmer im Kreise ihrer Lieben sicher noch in vielen, vielen Jahren erzählen – und wie es sich für Radprofis gehört, am besten bei einem großen Teller Spaghetti.
Wer jetzt nicht nur für seinen Nachwuchs, sondern auch für sich selbst auf den Geschmack gekommen ist, kann in unserem Artikel Schicke Mütze weiter Fahrt aufnehmen.
Joachim Gerloff • 5. August 2020